Die Architektur muss wieder zurück in die Gesellschaft. Weg vom Bauwesen und hin zur Baukultur soll das öffentliche Verständnis von der architektonischen Zunft gehen. Doch dafür muss sie die Menschen erst von sich überzeugen, muss in die Gesellschaft investieren und sich vom reinen Dienstleistungsgedanken distanzieren.
Kein leichtes Unterfangen und vor allem keines, bei dem kurzfristig nennenswerte Erfolge errungen werden können. Doch angesichts der gutbesuchten Veranstaltung im rebenumrankten (zeitgenössischen) Gebäudekomplex der Kellerei Tramin lässt sich hoffen, dass der eingeschlagene Weg, begangen mit Ausdauer und wachem Blick für die Bedürfnisse des anderen, letztendlich zum Ziel führen könnte.
Was zugleich Anliegen der Architekturstiftung Südtirol und Fazit des Traminer Dorfgespräches ist, kann aber nur gelingen, wenn engagierte Architekten tun, was sie am 10. März 2012 in der Kellerei Tramin getan haben: Menschen in die zeitgenössische Architektur einladen und Stellung beziehen.
Doch kurz zurück zum Anfang. Bereits 2011 hat das Kunsthaus Meran gemeinsam mit der Architekturstiftung Südtirol die sogenannten Dorfgespräche organisiert. In Verbindung mit der Ausstellung „Der nicht mehr gebrauchte Stall“ wurden landwirtschaftlich genutzte Kubaturen vor Ort betrachtet und diskutiert.
2012 finden ergänzend zur Ausstellung „Neue Südtiroler Architektur 2006-2012“ wiederum Expertengespräche im Kunsthaus Meran und das ein oder andere Dorfgespräch vor Ort statt. Das erste also nun am vergangenen Samstag in Tramin, genauer gesagt in der Kellerei Tramin, die sowohl hinsichtlich der effektiven Nutzung bereits vorhandenen Raumes, als auch in Bezug auf Durchdachtheit und Ästhetik ein bezeichnendes Beispiel zeitgenössischer Südtiroler Architektur ist.
Unter dem Motto „Weinkultur trifft Baukultur“ oder ausführlicher „Dorferweiterung und zeitgenössische Architektur am Beispiel der Weinwirtschaft“ trat anschließend an die Besichtigung von 5 weinwirtschaftlichen Betrieben eine wortgewaltige Diskussionsrunde – initiiert von Architektin Margot Wittig, moderiert vom Dekan der Bozner Fakultät für Design und Kunst, Gerhard Glüher – zusammen, um ein Plädoyer für die zeitgenössische Architektur zu halten.
Einleitende Worte kamen in Form des Gedichtes „Die drei besten Schlücke“ von Arno Dejaco. Wortgewaltiger hätte der Auftakt des Abends nicht sein können.
Neben den Architekten Walter Angonese und Michael Obrist, kamen in der Folge der Traminer Kellereiobmann Leo Tiefenthaler, der Obmann der Ersten und Neuen Kellerei Kaltern, Manfred Schullian, sowie der Präsident des Tourismusvereines Kaltern, Sighard Rainer, der Architekt und Publizist Andreas Gottlieb Hempel und der Journalist und Autor Heinrich Schwazer zu Wort.
Warum aber wurde gerade am Beispiel der Weinwirtschaft diskutiert? Ganz klar: Waren bis heute herausragende Beispiele der neuen Architektur in Südtirol hauptsächlich im Bereich der öffentlichen Gebäude zu finden, so zogen in den vergangen Jahren vor allem Kellereibetriebe nach. Dabei seien neben der Kellerei Tramin vor allem die Weinkellerei Alois Lageder, die Kellerei Manincor, das Winecenter Kaltern und der Weinhof Kobler genannt.
Auf die Frage, was denn den Wein und die Architektur verbände, antwortete Andreas Hempel denn auch, dass beide nicht nur die wohl ältesten Kulturgüter der Menschheit seien, sondern auch weite Spannungsbögen schlagen könnten. Der Wein jenen von der Erde über den geistigen Gebrauch und die Wandlung zum Blute Christi hin zur Kirche, die Architektur jenen vom Bedürfnis des Menschen, behaust zu sein bis hin zum heutigen Entwicklungsstand. Die Ursache für das hohe Aufkommen zeitgenössischer Architektur in der Südtiroler Weinwirtschaft liegt seiner Ansicht nach in einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen geistigem Inhalt und materieller Ausformung begründet.
Sprich, die gestiegene Qualität der Südtiroler Weine manifestiert sich in der steigende Architekturqualität.
Für Heinrich Schwazer ist die zentrale Frage in der aktuellen Architekturdiskussion nicht Warum haben wir so wenig gute Architektur, sondern warum haben wir so viel schlechte? Seine Antwort, die Mehrheit der Menschen können sich mit moderner Architektur nicht anfreunden, weil sie ihnen zu emotionslos sei, scheint nachvollziehbar. Provokant allerdings ist der weiterführende Gedanke des Journalisten, die „vielgeschmähte Lederhosenarchitektur“ sei das Mittel, das Gegenstück, das von der Allgemeinheit eingesetzt wird, um sich gegen die unverstandene und durch einen Mangel an Atmosphäre gekennzeichnete zeitgenössische Architektur zu wehren.
Dass einzig ausgiebige Planungsprozesse, Sensibilisierung und Kommunikation die Instrumente sein können, deren Einsatz die Akzeptanz zeitgenössischer Architektur in Südtirol fördern und dem einzelnen „Häuslebauer“ die Notwendigkeit derselben verdeutlichen können, darüber waren sich alle Referenten denn auch einig.
Oder mit Michael Obrist gesprochen: „Nachdenken ist der erste Schritt zum Investieren, der zweite Schritt ist (Menschen) involvieren.“
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